Fondazione Prada zeigt „Diagrams“ von AMO/OMA

Infografiken begleiten Rem Koolhaas und sein Architekturbüro OMA seit Beginn an. Viele seiner frühen Projekte gleichen gebauten Funktionsdiagrammen. Koolhaas erinnert sich: „Komplexe Ideen sind ein intellektuelles und manchmal auch ein künstlerisches Vergnügen. Für uns wurden sie zu einem treibenden Element, um unsere Ziele zu verfolgen. Dabei waren Diagramme unglaublich hilfreich. Durch ihre Recherche und Gestaltung versuchten wir, einen Raum zu schaffen oder eine andere Architektur zu definieren, die eine enorme Menge an Argumentation und Artikulation erforderte.“

Cornelius Hugh De Witt: Sankey diagram of the product flows and food waste generated along the food supply chain in Europe in 2011, 2019. In Carla Caldeira, Valeria De Laurentiis, Sara Corrado, Freija van Holsteijn, Serenella Sala, “Quantification of Food Waste per Product Group along the Food Supply Chain in the European Union: a mass flow analysis”, in “Elseiver.” Resources, Conservation and Recycling, vol. 149 (October 2019), modified from VHK, Kemna et al., 2017, Courtesy VHK © VHK for European Commission 2016 Source: VHK, Kemna et al., 2017 

Inzwischen fällt Koolhaas die Argumentation für eigene Entwürfe leichter, doch das intellektuelle Interesse an Diagrammen ist geblieben. Sein Architekturbüro und dessen Alter Ego, der Think Tank AMO, waren daher ideale Partner für die Fondazione Prada in Venedig bei ihrem Ausstellungsprojekt „Diagrams“. In der Ca`Corner della Regina am Südufer des Canale Grande, werden noch bis 24. November mehr als 300 Exponate aus acht Jahrhunderten gezeigt. Darunter sind chinesische Darstellungen des menschlichen Kreislaufsystems, historische Analysen der weltweiten Handelsbeziehungen und zeitgenössische Diagramme der Waren- und Abfallströme in der EU.

Detailansicht der Ausstellung. © Marco Cappelletti; Courtesy: Fondazione Prada

Die thematisch gegliederte Ausstellung widmet sich insgesamt neun Bereichen, die AMO/OMA als „now urgencies“ – zu deutsch etwa: aktuelle Dringlichkeiten – unserer Zeit identifizieren. Also beispielsweise Ressourcen, Kriege, Gesundheit, Ungleichheit und Migration, aber auch Religion und die gebaute Umwelt. Die Bandbreite der Exponate zeigt: Trotz ihrer scheinbaren Objektivität waren Diagramme immer auch ein Medium, um das eigene Weltbild und die eigene Demagogie unter die Menschen zu streuen. Das machen zwei Vitrinen deutlich, die sich im Ausstellungssaal in Venedig diametral gegenüberstehen. Die eine enthält Diagramme des amerikanischen Soziologen W.E.B. DuBois, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Rassendiskriminierung und die Abschaffung der Sklaverei in den USA untersuchte. Ihnen gegenüber zeigt die Abteilung „Truth“ der Ausstellung, wie Infografiken in allen Epochen und Weltregionen zum Werkzeug religiöser Aktivisten und selbst erklärter Propheten wurden.

Elwin J. Woodward: Historic and prophetic diagram of the world: God’s plan of salvation for law breakers, 1912, David Rumsey Map Collection, David Rumsey Map Center, Stanford University Libraries © Courtesy David Rumsey Map Collection, David Rumsey Map Center, Stanford University Libraries 

Die Fülle der Exponate bemisst sich nicht allein an ihrer Zahl, sondern auch am Informationsgehalt. Einziger Wermutstropfen: Wohl aus Kostengründen werden längst nicht alle Diagramme als Originale gezeigt; viele sind digitale Fotografien und einige davon so klein wiedergegeben, dass es schwerfällt, darauf jede Einzelheit zu entziffern. Insgesamt jedoch ist die Ausstellung „Diagrams“ für Venedig-Touristen eine absolut lohnende Abwechslung vom diesjährigen Biennale-Programm.